Der Verein Turma do Flau wurde von Schwester Aurieta und einigen weiteren engagierten Menschen in Brasília Teimosa gegrüdet. Brasília Teimosa ist eine Favela am Rand der Millionenstadt Recife, etwa 15.000 Menschen leben hier auf engstem Raum. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich der bekannte Touristen-Strand Boa Viagem. Viele Kinder aus der Favela verkaufen seit Jahrzehnten Wassereis (Flau), um mit den Einnahmen ihre Familien zu unterstützen. In den 80er Jahren wurde mit Unterstützung von Pater Beda eine Eismaschine und eine Truhe angeschafft. Nach und nach wurde die Hilfe ausgeweitet. Sehr wichtig waren und sind regelmäßige Gespräche mit den Eltern; vielen ist nicht klar, wie wichtig der Schulbesuch ist. Aber mit diesem Ansatz wurde es sehr schnell geschafft, dass niemand mehr die Schule schwänzte. Die Turma do Flau, das sind mittlerweile jedes Jahr etwa 60 Mädchen und Jungen im Alter von 6 bis 16 Jahren. Alle haben einheitliche T-Shirts, die das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken.
Das Wassereis ist nur der Aufhänger, um die Kinder zu einer Gemeinschaft zusammen zu bringen. Aurieta und ihre beiden Kolleginnen Denise und Graça versorgen sie täglich mit einer warmen Mahlzeit, es gibt Unterricht am Computer, gemeinsame Spiele und Ausflüge und vieles anderes mehr. In der Turma do Flau zu sein, ist für diese Kinder wie ein Traum. Sie kommen alle aus sehr armen Familien, einige von ihnen lebten in der Anfangszeit noch auf der Straße. Das oberste Ziel ist es, den Kindern den Zugang zur Bildung zu ermöglichen und sie während der Schulzeit zu begleiten, dass sie nicht abbrechen.
Projektbesuch im Januar 2025 durch Bernd Kemper
Bei meinem ersten Besuch in Brasilien vor 42 Jahren lernte ich Schwester Aurieta kennen. Sie war schon damals eine sehr engagierte und großartige Person. Ende der 80er Jahre war ich für mehrere Wochen in Brasilia Teimosa und habe sie bei ihrer Arbeit begleiten können. Bis heute hat sie nichts von ihrer Energie verloren. Im Gegenteil, ihre Arbeit hat heute deutlich größere Ausmaße und sie setzt sich nach wie vor unermüdlich für die sozialen Belange in ihrem Stadtteil ein. Vor allem Kindern und Jugendlichen gilt ihre Hilfe.
Recife gehört zu den gefährlichsten Städten weltweit, die Kriminalität ist vor allem in den Armenvierteln sehr hoch. Kinder und Jugendliche werden von Milizen oder dem Drogenkommando angeheuert, viele geraten zwischen die Fronten der rivalisierenden Drogenbanden. Deshalb ist es auch keine Seltenheit, dass Minderjährige im Gefängnis landen. Die Polizei steht nicht immer auf der richtigen Seite des Gesetzes, manchmal verliert man den Überblick wer von beiden schlimmer ist. Zu den Aufgaben von Aurieta, Denise und Graça gehört es deshalb auch, Kinder im Gefängnis zu besuchen, sich um deren Eltern zu kümmern und mit Richtern und Anwälten zu verhandeln.
Aurieta mit ihren beiden Mitschwestern Graca und Denise
Dank ihrer mittlerweile 50 Jahre andauernden Arbeit hat sich die Situation in diesem Stadtteil deutlich verbessert. Ich durfte Aurieta einen Abend bei ihren Rundgängen begleiten. Sie kennt jede einzelne Familie „ihrer“ Kinder, und wenn etwas nicht in Ordnung ist, besucht sie diese. Sie macht eine Sozial- oder Stadtteilarbeit, die keinen Menschen verloren gibt. In ihrem Viertel kommt man keine 50 Meter weit, ohne dass jemand ihren Namen ruft und ein Schwätzchen halten will. Es dürften einige Tausend Kinder sein, die in der Vergangenheit in der Turma do Flau mitgemacht haben. Aus diesen Kindern sind Erwachsene geworden, die Aurieta sehr sehr dankbar sind für das, was sie für sie und ihre Familien getan hat. Auch hier haben Kinder eine Chance im Leben bekommen und nutzen sie.